Henry Wadsworth Longfellow

1807 – 1882           USA

 

Henry Wadsworth Longfellow

 

 

 

In Übersetzungen von

Hermann Simon

 

 

 

 

 

Giotto’s Thurm

 

Wie Viele leben wundervoll und schön

Durch Selbstbeherrschung. Fern von Selbstgefallen

Froh, klaglos sie zum Räthselauftrag wallen

Zu dem der heil’ge Geist sie hieß zu geh’n.

 

Nicht barfuß, nicht verehrt kannst Du sie seh’n;

Nicht mit des gold’nen Glorienscheines Strahlen,

Die Künstler um der Heil’gen Häupter malen;

Vollendet, sie doch unvollendet steh’n.

 

Giotto’s Thurm prangt zu Toskana’s Ruhme,

Die Lilie von Florenz in Stein gehau’n –

Ein Ahnen, eine Wonne, lichtumlacht. –

 

Des Künstlers hundertjähr’ge Wunderblume

Die ganz allein blüht in der Vorzeit Grau’n –

Nichts fehlt ihr jetzt als nur des Thurmes Pracht.

 

 

Der morgende Tag

Spät ist es; meine kleinen Lämmchen ruh’n

So eng beisammen wie der Herde Schaar;

Schlaflos anrufen Uhren laut und klar

Die Stunden, die vorbeizieh’n, nimmer ruhn

 

So wie’s am Thurm und Treppe Wachen thun. –

Die Hähne kräh’n von fern so sonderbar;

Durch’s Thor, das vor der Zeit geöffnet war,

Der nächste Tag mit frischem Hauch’ schlüpft nun.

 

Der nächste Tag! Geheimnißvoller Gast,

Der ruft: „an Barmecides denke immer,

Ach zittre, daß Du Glück wie andre hast!“

 

Zur Antwort nimm: „Zufrieden bin ich ja;

Darf fragen nicht; das Beste kenn’ ich nimmer

Gott hat beschlossen Alles, was geschah.

 

 

 

Die Milchstraße

Du Strahlenfluß, Du Ätherstrom der Luft,
Auf dessen Grunde flimmernd Sterne strahlen,
Wie Gold- und Silbersand in Schluchtenthalen
Dort, wo der Bergstrom ließ des Bettes Gruft!

Der Spanier sieht den Pfad in Deiner Kluft,
Auf dem bei stiller Nacht in Glutenstrahlen
Der Himmelsrüstung stieg zu erdenthalen
Sein heil'ger Schutzpatron aus klarer Luft.

Ihn seh' ich nicht; kann auch die Mähr nicht finden
Von Phaeton's wilder Fahrt, den Himmel sengend
Wohin nur trat der glüh'nden Rosse Paar. -

Doch weiße Welten wogen ob dunk'len Gründen,
Den Sternenstaub aufwirbelnd, niederdrängend
Von Gottes Wagenrädern, unsichtbar.

 

 

 

Das zerbrochene Ruder

Ein Dichter ging an Island's ödem Strande
Mit Buch und Feder, suchte zu ergründen
Ein Schlußwort, ein süß Amen aufzufinden
Für's Werk das liebend seine Hand umspannte.

Die Wogen rollten vorwärts auf dem Lande,
Die Möven sah er seinem Blick' entschwinden,
Und dann und wann von flieh'nden Wolkengründen
Die Sonne flammte über Meer und Lande.

Da ein zerbroch'nes Ruder warfen nieder
Die Wellen; d'rauf las er vor Wonne bebend:
"Müd' war ich oft, mußt' ich mit Dir mich quälen;"

Wie Der, der findet das Verlor'ne wieder,
Schrieb er die Worte, warf, sein Haupt erhebend,
Hin die nutzlose Feder in die Wellen.

 

 

 

Das göttliche Schauspiel

 

I.

 

An einem Kirchenthore oft ich ah

den Arbeitsmann vor Staub und Hitze weilen,

Die Last hinlegen, in die Kirche eilen

Mit gläub’gem Schritt. Sich kreuzend fiel er da

 

Auf’s Knie und betete den Heil’gen nah,

Wo ihn der Weltlärm konnte nicht ereilen;

Der Straßen Toben schien sich zu zertheilen,

Ein Murmeln schien’s entfernt und nicht mehr nah.

 

So tret’ auch ich hier Tag für Tag herein,

Laß meine Bürden an des Domes Pforte,

Knie’ hin und bete, stolz ein Christ zu sein.

 

Es schwinden der trostlosen Zeiten Worte

Und scheinen leises Murmeln nur allein;

Die ew’ge Zeit bewacht der Zukunft Pforte.

 

 

II.

 

Merkwürdig dieses Thurm’s Sculpturen seh’n,

Die Statuen, in deren Aermelfalten

die Vögel nisten; Blätterhimmel halten

Bedeckt Portal und Halle rings so schön.

 

Ein Blumenkranz scheint dort der Dom zu steh’n,

Doch an den Traufen Teufel, Drachgestalten,

Wacht bei dem todten Christ, den beiden Dieben halten;

Von unten Judas Augen lauernd seh’n.

 

Von welcher Herzens-, welcher Seelenpein,

Von welchem wildverzweifelten Erbeben

Von welcher Liebe, Thränen heiß und bang,

 

Von welchen angsterfüllten Hilfeschrei’n

Seh’ ich dies Erd- und Luftgedicht sich heben,

Des Mittelalters wunderbaren Sang.

 

 

III.

 

Ich trete ein; in langer Gänge Nacht

Seh’ ich Dich ernster Dichter, bin bestrebt

Zu folgen Deinem Schritt’, der vor mir schwebt;

Der Aether wunderbaren Duft entfacht.

 

Die Todten treten auf die Seite sacht,

Daß Raum für Dich; der Kerzen Schimmer bebt;

Wie Vögel in Ravenna’s Hain erhebt

Des Echos Klang sich aus der Gräber Pracht.

 

Vom Beichtstuhl klagen alte Trauerspiele;

Von Neuem steigen aus dem Grabgewühle

Der Geister Klagen jammernd in die Höh’.

 

Und eine Himmelsstimme hör’ ich künden:

Wenn gleich blutroth sind Eurer Seelen Sünden

Sie sollen alle werden weiß wie Schnee.

 

 

IV.

 

Im weißen Schleier und im Glutgewand

Steht sie vor Dir die einst Dein junges Herz

Mit Leidenschaft erfüllt, mit Sehnsuchtsschmerz,

Bei der Derin Lied all seine Gluten fand.

 

Als Deinen Namen zürnend sie genannt.

Zerschmilzt wie Schnee auf Bergeshöh’n Dein Herz,

Vor Scham strömt über Deiner Seele Schmerz,

Und Deine Lippen schluchzen unverwandt.

 

Du beichtest Alles.   morgendämm’rungsglanz

Scheint, wie den dunklen Wald, Dir zu umbeben

Die Stirne, welche sich zu ihr erhebt,

 

Lethe und Eunoe – Dein Traumesglanz,

Vergess’nes Elend, - Alles ist vergeben,

Und sel’ger Himmelsfrieden Dich durchbebt.

 

 

V.

 

Ich blick’ empor und jedes Fenster strahlt

Von todten Heil’gen, die im Glaubensstreite

Gemartert erst, verklärt dann ob dem Leide;

Der mächt’gen Rose Blätter sind bemalt

 

Mit Engelsang, mit Christ’s Triumphgewalt;

Glanz häuft auf Glanz sich und an Dante’s Seite

Steht Beatrice wieder, strahlt vor Freude,

Zürnt nicht, ihr Liebeswort ihr Lächeln malt.

 

Die Orgel rauscht und Chöre, unsichtbar

Latein’sche Friedens-, Liebes-Lieder singen

Und segen Dir ertheilt der heil’ge Geist.

 

Vom Thurm’ das Läuten tönt melosisch klar;

Der Stadt, dem Himmel will’s die Kunde bringen

daß jetzt die Hostie der Priester weist.

 

 

VI.

 

O! Morgenstern!   Der Freiheit Stern! so rein

Strahlt uns Dein gold’ner Glanz der flimmern macht

Durch seinen Schein der Appeninen Pracht,

Vorbote ist des Tag’s, der bald wird sein.

 

Von Stadt und Meer, von Bergen, aus dem Hain

Hallt wieder Deiner Zauberstrophen Macht;

wer sie gelesen, hat an Dich gedacht

Italien! geträumt bei Dir zu sein.

 

Dein Ruhm strömt von den Bergen rings umher

Durch Völker, und es rauscht ein Klang

Wie Sturmeswind; der Mensch andächtig kniet.

 

Roms Fremdlinge, Bekehrte grüßt so hehr

In ihrer Sprache Laut Dein Wundersang;

Bald Staunen, Schrecken bald ihr Herz durchzieht.

 

 

 

Meine drei Freunde

 

I.

 

Denk’ ich an Euch, Ihr Freunde, einstmals mein,

Die Ihr so edel wart, nun nicht mehr hier,

Die Ihr wart mehr als Freunde lange mir,

Und deren Wort war gleich dem edlen Wein’,

 

Ein göttlich Etwas dringt in’s Herz hinein

Das Euch verklärt, das uns läßt sehen hier

Des Menschen Urbild, das die erste Zier

Des Vorwurfs der Natur hätt’ können sein;

 

Umsonst such’ Eure Hände ich zu fassen,

Ich kann nicht finden sie; Nichts blieb mir mehr

Als der Erinn’rung hehre Strahlensonne;

 

Ich muß Euch im Elysium wandern lassen,

Vielleicht mein denkend, der Euch mißt so schwer,

Und beim Erinnern lächelnd voller Wonne.

 

 

II.

 

Geburtsland mußte Attila Dir sein,

Ioniens Inseln, oder wo umfangen

Von Meeresarmen die Cycladen prangen,

So warst du Grieche ganz, so kindlich rein

 

O! Philhelene! war Dein Lebensfreu’n;

Die Att’schen Bienen Dir ihr Murmeln sangen;

Ein Plato hat als Freund Dich oft empfangen,

Homer und Socrates sie waren Dein,

 

Der Vorzeit Odem hauchte Dir Legenden;

Du sahst Poseidon in dem Purpurmeer’,

Jasons gold’nes Flies im Abendglühen;

 

Was greifst Du nach des Todes grausen Händen,

Der Du voll Lebenskraft? was kommt hierher

Der Tod, daß Du hinstirbst im Jugendblühen!

 

 

III.

 

Bin wieder an dem wohlbekannten Strande,

Vernehm’ das Rauschen von dem wilden Meer’,

Es ruft Dich traurig, klagt um Dich so schwer,

Zur Hüttenthür’ es watet in dem sande;

 

Die Felsen und das Gras am Meeresrande,

Die Weiden auf den Wiesen rings umher,

Des Oceans Sturmwind grüßen mich so hehr;

Ach! warum starbst Du, kommst nicht mehr zum Strande?

 

Ach! warum starbst Du, während emsig treibt

Gemeinheit ihre kleinlichen Geschäfte,

Erwerb sucht, und nur trachtet nach Gewinn’?

 

Wenn Du gelesen was Natur uns schreibt

Im Räthselbuch’, enthüllt hast ihre Kräfte,

Was schweigst Du? weshalb sankst ins Grab du hin?

 

 

IV.

 

Strom, der mit stillen Schritten leise schleicht

Rings um die Todtenstadt, wo liegt begraben

Ein Freund, wie Du genannt, an dem sich laben

Nicht mehr mein Blick kann, der nicht mehr sich zeigt;

 

Schließ’ ihn in Deine Arme sanft und leicht,

Sag’ gute Nacht ihm; roth gefärbt sich haben

Die Wolken, Nebel Alles rings begraben,

Wie Dunst, der der Entschlafnen Antlitz bleicht.

 

Gut Nacht! Gut Nacht! wie wir so oft gesagt

Hier unter diesem Dach um Mitternacht,

In Zeiten, die entfloh’n, nie wieder kommen.

 

Du nahmst Dein Lämpchen, gingst zu Bett’; ich wart’

Ein wenig länger, wie der, der drauf harrt

Zu decken Kohlen, die nicht ganz verglommen.

 

 

V.

 

Weit offen allen Thüren steh’n, am Thor’

Der blüh’nde Flieder heuchelt Sonnenglut

Die Luft zu wärmen; wie Verhängniß ruht

Auf Brighton’s Matten träumend Nebelflor;

 

Der Carlsstrom schreibt auf ihren Rand empor

Des Namens letzte Zeichen mit der Flut

Des Meer’s, sein rastlos Wogen plötzlich ruht,

Als müss’ er warten, dürf’ nicht weiter vor.

 

So harr’ auch ich; nie kehren hier zur Stelle

Die treuen Freunde, deren Strahlenspur

Des Herzens Durst und Hunger mir einst stillte;

 

Den Weg vergaßen sie zu meiner Schwelle,

Seitdem sie fort, schwand Etwas der Natur;

Kein Sommer gleicht des früh’ren Sommers Bilde.

 

 

 

Chaucer

 

Ein alter Mann, im Haus’ am Waldeshange,

Daß Zimmerwände sind bemalt gar bunt

Mit Falken, Jägern, mit dem treuen Hund’,

erlegtem Wild’, er lauscht der Lerchen Sange,

 

Der mit der Sonne schlüpft, wie eine Schlange,

Durch des in Blei gefaßten Glases Rund,

Er lauscht dem Klang’, es lächelt lieb sein Mund;

Dann wie ein Mönch schreibt in ein Buch er lange.

 

Des Morgens Dichter ist es, der geschrieben

Die Mähr von Canterbury, der verklärt

Sein Alter mit Gesang; beim Lesen höre

 

Ich Hahnschrei – Lerchen- Hänflingssang, den lieben,

Und jede saite mir den Duft bescheert

Vom Ackerfeld’, vom Wiesenblumenmeere.

 

 

 

Shakespeare

 

Ein Bild von Straßen, drinnen Volksgedränge,

Des Menschenlebens ewig schnelle Wogen;

Der Lärmen in der durchfahrt engen Bogen;

Der Schlachttrommeten wilde Donnerklänge;

 

Der Thürme Läuten; Kinderrundgesänge;

Schrei’n der Matrosen, wild und ungezogen;

Und schöne Blumen, die so lieblich wogen

Von Gartenmauern süßer Düfte Menge; -

 

Solch Bild ich sehe, wenn ich aufgeschlagen

Das Werk des großen Dichters; lieb beglückten

Nicht eine – alle Musen ihren Sohn; -

 

Die goldne Leyer hießen sie ihn tragen,

Mit heil’gem Lorbeer sie am Quell’ ihn schmückten,

Ihn führten, wie Apollon auf den Thron.

 

 

 

Milton

 

Ich geh’ am hall’nden Seestrand’, sehe wogen

Die mächt’gen Wellen, rollend her und hin,

Hinauf, hinab; indeß der Sonne Glüh’n

Durchblitzt die Falten der smaragd’nen Bogen;

 

Die neunte Woge sammelt sammelt die Faltenwogen

Des flatternden Gewands in Eins, - dahin

Stürzt auf den Strand sie, macht von Gold erglüh’n

Den düst’ren Strand, bleich, weit dahingezogen.

 

So steigt und sinkt in majestät’schem Falle,

England’s Mäoniders, Du blinder Barde,

Dein mächt’ges Liebesmeer, dein Zaubersang;

 

Und immer hoch erhoben über Alle

Die neunte Woge von der stolzen Warte

Die Seele überströmt mit Meeresklang’!

 

 

 

Keats

 

Endymion schläft Endymion’s Schlaf; der Laut

Des Hirtenknabens stockte sanft und mild;

Der Wald hebt feierlich sein gold’nes Schild

Zum rothen Mond’, der aufsteigt; tief und laut

 

Die Nachtigall vom Hange singt so traut;

Hochsommer ist’s, doch Kühle ihn erfüllt.

Ist tot er?   Bei der Herde, springend wild,

Zerknickt Dein Blick ein Hirtenpfeifchen schaut.

 

Sieh! in dem Mond’ glänzt licht ein Marmorstein,

Geschrieben steht darauf: „Hier Einer ruht

Deß Name im Wasser nur geschrieben war.

 

War dies des holden Sanges Lohn?   O, nein,

Hier sollte steh’n: „eh’ rauchender Flachs wird Glut,

Tod löschte ihn; der Halm vernichtet war.“

 

 

 

Das Rauschen des Meeres

 

Um Mitternacht vom Schlaf’ fuhr auf das Meer,

Und auf der stein’gen Küste weiten Gängen

Die erste Flutenwoge hörte ich drängen,

Ununterbrochen rauschend, dumpf und schwer;

 

Ein Ton der Oceanstille rings umher,

Ein Klang, vermehrt zu tausend Räthselklängen,

Wie Katarakte, die die Felsen sprengen,

Wie auf dem Maldeshang’ der Stürme Heer.

 

So kommt oft von des Daseins öden Hallen,

Von dieses Lebens unbekannten Schranken

Zu uns das Rauschen uns’rer Seelenflut;

 

Eingebungen, die wir für eig’ne halten,

Sind Gottesahnung himmlischer Gedanken

Die der Vernunft im All verborgen ruht.

 

 

 

Ein Sommertag am Meere

 

Die Sonne sank; von ihren tetzten Strahlen

Blitzt jenes Wölkchen, goldig, eschengrau;

Wie des Propheten Mantel langsam schau’

Ich’s auf den Ambraäther niederwallen.

 

Von dunklen Klippen Leuchtturmblitze fallen,

Des Meerpfad’s Lampen; oben dunkelblau

Der Nächte Banner grüßt die Sternenau;

Der Tag sank in der Träume Zauberhallen.

 

O, Sommertag bei lust’gen Meeresreigen!

O, Sommertag so wundervoll und klar,

So voller Lust, - so voller Schmerz und Klagen!

 

Ach, immer, immer sieht aus Dir entsteigen

Ein Herz den Grabstein einer Lust die war, -

Und eins den Markstein neuer Lande ragen!

 

 

 

Die Fluten

 

Auf langen, öden Küsten ringsumher

Sah ich das Seegras, Muscheln auf dem Sande;

Nackt dunk’le Felsen ragten an dem Strande,

Als wolle flieh’n die Ebbe nimmermehr.

 

Da hörte ich athmen lauter als vorher

Den Ocean, die mächt’ge Brust er spannte,

Und rasend stürzte zum wehrlosen Lande

Mit wildem Tosen das empörte Meer.

 

Ich rief:“Sehnsucht, Gedanken, Glutempfinden,

Frohsinn und Liebe, des Gesanges Lust

In’s Lebensmeer mir sanken alle nieder!“

 

Da plötzlich aus des tiefen Oceans Gründen

Ein Wonnemeer durchströmte meine Brust,

Erhob, wie Jugend, stark und schön mich wieder.

 

 

 

Ein namenloses Grab

 

’s ward ausgemustert der Union Soldat!“

Auf einem unbekannten Grab’ dies steht

in Newport News, von salz’ger Flut umweht,

Namlos und datumlos; durchbohrt ihn hat

 

Vielleicht als Posten der Eisenkeile Saat,

Die in dem Handgemenge hingemäht

Der Braven Reih’n, wo die Redoute steht

Der todtgeweiht sie stürmend sich genaht.

 

Du unbekannter Held, beim Meere hier

Sanft schlummernd im vergess’nen Grab, ich fühle

Beschämt den Pulsschlag, meine Stirn ist heiß

 

Denk’ ich daran, daß Du geopfert mir

Was Dein war, - Namen, Deines Lebens Ziele;

Daß ich Dir nichts dafür zu geben weiß.

 

 

 

Der Schlaf

 

Lullt mich in Schlaf, ihr Winde!   Eure Weisen

Sie gleichen schwachen Aeolsharfenhauchen;

Schließt der Gedanken hundert wache Augen,

Wie Hermes hat mit Leyerklang dem leisen

 

Des Argus hundert Augen schlummern heißen.

Von Arbeit übermannt kann Ruh’ ich brauchen;

Müd’ bin ich, Sorgen mir am Herzen saugen,

Mein Haupt drückt schwer der Qualenkranz von Eisen.

 

Leg’ mir auf Stirn’ und Wangen sanft die Hände

Friedvoller Schlaf! bis ich, vom Weh’ erlöst.

Kann wieder athmen frei zu meinem Gott!

 

Schön sagt der Grieche, daß in Dir er fände

Das kleinere Geheimniß für das Fest, -

Das größere Geheimniß ist der Tod!

 

 

Die Natur

 

Wie Mutterliebe, wenn der Tag vergangen,

An ihrer Hand ihr Kindchen führt zu Bette,

Halb folgt’s, halb will es nicht zur Ruhestätte,

Läßt’s Spielzeug liegen d’rum die Stücke hangen,

 

Noch blickt es durch die Thüre voll Verlangen,

Besorgt ob’s morgen, wie’s versprochen, hätte

Ein neues Spielzeug an des alten Stätte,

Nicht lieber ihm, mag’s auch wohl schöner prangen,

 

So macht es die Natur; sie läßt im Leben

Ein Spielzeug nach dem andern uns vergehen,

Führt lieb uns an der Hand zum Ruhekissen;

 

Wir wissen nicht, sollen geh’n wir, widerstreben;

Zu müde sind wir um noch zu verstehen

Wie’s Unerforschte übersteigt das Wissen.

 

 

 

Auf dem Kirchhofe von Tarrytown

 

Hier liegt der junge Humosist, verschieden

Als ihm des Ruhm’s Nachsommer aufgegangen;

Ein schlichter Stein den Ruh’platz hält umfangen

Am Strom’ den er geliebt, gerühmt hienieden.

 

Nur Nam’ und Datum ward dem Stein’ beschieden,

Hierher ist er im Lebensherbst’ gegangen,

Doch Strahlenfarben hielten reich umfangen,

Die trock’nen Lebensblätter daß sie glühten.

 

Wie lieblich war sein Leben; sein Tod wie wonnig.

Im Leben mit Lust beflügelnd Leidensstunden,

Das Herz erfreuend mit romant’schen Sagen;

 

Im Tod’ ließ er zurück Erinnern, sonnig,

Mit kühlen Regenschauern lieb verbunden,

Ein Aetherhauch, bald Weh, bald Lustbehagen.

 

 

 

Eliots Eiche

 

Du alte Eiche! aus Deinen Blättern schwellen

Laut Wortesklänge die nicht zu verstehen;

Wie Volksgemurmel sie herniederwehen,

Leis rauschen wie vom Steingrund’ Bachesschwellen;

 

Geheimnißvolle Laute Dir entquellen;

Verschied’ne Sprachen scheinst Du zu verstehen,

Zu mir sprichst Du, was niemand kann verstehen,

Von den Geschlecht’ das längst ließ Zeit zerschellen.

 

In Deinen Schatten saß vor langen Jahren

Wie Abraham unter Mamre’s mächt’gen Eichen,

Am Abend’ Eliot, der unbekannte

 

Prophet der Indianer, schrieb erfahren

Dort seine Bibel mit längst verschwund’nen Zeichen;

Der längst Vergess’ne, Dir nur noch Bekannte.

 

 

 

Die Herabkunft der Musen

 

Neun schöne Schwestern, herrliche Gestalten,

Sah man aus des Olympos Strahlenreichen

Von ihrem Heim’ der Wonne niedersteigen,

Beim Volk’ am Fuß’ des Berg’s sich aufzuhalten;

 

Verändert schien die Welt; Zeit, Raum, das Walten

Der hellen Tage, der Nächte, der sternenreichen,

Die Menschheit, Sitten, Klänge, alle Zeichen

Ganz anders schien sich, göttlich zu gestalten.

 

Stolz waren wohl die Schwestern, doch begannen

In Schulen und in Städtchen sie zu lehren

Die schönen Künste, Wissenschaft und Sänge;

 

Und während Männer pflügten, Weiber spannen

In selbstgewobnen Kleidern, ließen lehren

Die Töchter sich der Pieriden Klänge.

 

 

 

Venedig

 

Du weißer Stadtschwan, schlummernd in dem Neste

So schön erbau’t in den Lagunenrieden,

Durch welche Schutz und Nahrung Dir beschieden,

Wie’s die Geschichte sagt und Deine Gäste;

 

Du Wasserlilie, eingewiegt auf’s Beste

Vom Ocean’ und der Moore stillen Frieden,

Die gold’nen Fädchen lüftend von den Rieden,

Dein Kronenhaupt, die sonnigen Paläste!

 

Du weißes Stadtphantom!   Des Meeres Wogen

Sind Deine Straßen, und Dein Pflaster linde

Palästeschatten, Himmelsstreichen, bebend.

 

Ich fürchte Dich wie der Morgana Wogen

Entflieh’n zu seh’n, wie die Wolkenburg vor’m Winde

Mit duft’gen Mauern zu dem Aether schwebend.

 

 

 

Die Dichter

 

Ihr todten Dichter, lebend noch in Sängen

Unsterblich fort, ob auch entfloh’n das Leben;

Ihr lebenden, die Ihr schon todt im Leben

Wenn Unbeachtetsein das Herz kann sprengen,

 

Sagt, wart Ihr bei den schwersten Leidensgängen,

Als blut’ge Schmerzenstropfen ihr saht beben

Vom Haupt’, die an der Dornenkrone kleben,

Nicht froh der Zukunft Pforte aufzusprengen?

 

Ihr wart’s; des sang’s geheimnißvolle Gabe

So etwas Göttlichschönes hält geborgen

Daß sie uns stillt des Elend’s bitt’re Sorgen.

 

Nicht das Geschrei der Menge je uns labe,

Ihr Ruf und Beifall nicht; in uns’ren Seelen

Allein ruht der Triumph und das Verfehlen.

 

 

 

Parker Cleaveland

Sommer 1875 in Braunschweig

 

Ich lernte kennen vieler Menschen Leben,

Doch keins so licht, so lieb hab’ ich gefunden,

Das sich vollendet wußte abzurunden

Als sein’s, dem dieser Leichenstein gegeben;

 

Hier diese Fichten, die leis flüsternd beben,

Die Gänge für der Schüler freie Stunden,

Waren die Welt ihm, Frieden hat er gefunden,

Sah seinen Lehrstuhl sich zum Thron erheben.

 

Gern liebt Erinn’rung bei den alten Tagen

Zu weilen, wo sein Beispiel, Schrift und Worte,

Und Arbeit nur zum Zeitvertreibe machte;

 

Jetzt ruht er friedlich hier wo Gräber ragen

Nichts lockt ihn von dem schattigstillen Orte;

Gott „Amen!“ sprach, vom Schlummer er erwachte.

 

 

 

Der Herbstmond

 

Das ist der Herbstmond!  Auf den gold’nen Fahnen,

Auf Dörferdächern und auf Wälderkronen,

Auf Nestern d’rin die Vögel nicht mehr wohnen,

Auf Fensterscheiben, deren Vorhang ahnen

 

Ein schlummernd Kindchen läßt, auf Felderplanen

Und Erntefeldern blieb sein Schimmer thronen;

Fort floh’n die Vögel zu des Süden’s Zonen;

Den letzten Garben das Heim die Wagen bahnen.

 

Symbol ist Alles; die Naturgebilde

In den Gedanken sich uns wiederspiegeln

Wie Blumen, Früchte, und der Blätter Fallen;

 

Die Vögel flieh’n wenn flieht des Sommer’s Milde,

Die leeren Nester ihre Flucht besiegeln,

Und Wachtelschlag, den leis wir hören hallen.

 

 

 

 

An den Rhonefluß

 

Du Stromesfürst, geboren von Sonne und Regen

In alpenglutdurchbebten Purpurhallen

Schneehermeline Deine Brust umwallen,

So fleckenrein; die Wetter Dich umfegen!

 

Geharnschtem Ritter gleich stürz’st Du verwegen, -

Die Eisenpanzer Deiner Rüstung hallen, -

Den Bergesströmen, die Dir als Vasallen

Gehorchen, in dem Thalesgrund’ entgegen;

 

Jetzt triumphierend wälzest Du die Wogen,

Der ströme König! Ihren Gruß zu bringen,

An deinen Ufern harren hundert Städte;

 

Es wölben Brücken Dir die stolzen Bogen,

Und Weingelände rings Dich lieb umschlingen,

Es lauscht auf dich das Meer im Riesenbette.

 

 

 

Die drei Schweigen des Molinos

(An John Greenlas Witthier)

 

Drei Schweigen gibt es, das der Sprachenlaute,

Der Wünsche dann, und der Gedanken Schweigen;

Dies, schwärmend in der Phantasien Reichen,

Ein span’scher Mönch als Wahrspruch uns vertraute.

 

In diesen Schweigen, einend sich, er schaute

Das völl’ge, unaussprechlich tiefe Schweigen

Um das er flehte, das aus jenen Reichen

Ihm kündete geheimnißvolle Laute.

 

Du, der vorausempfindet hier im Leben

Schon jenes; dessen Wort und deß Gedanke

Die Geisterwelt so wunderbar durchhallte,

 

Einsiedler von Amesbury! entschweben

Hörst Stimmen Du jenseits der Erdenschranke;

Sprichst nur wenn’s Herz Dir voll Begeist’rung wallte.

 

 

 

Die zwei Ströme

 

I.

 

Der Glocke Stundenzeiger bewegt sich leise,

So langsam, daß es können Menschenaugen

Entdecken nicht! ’s bemalte Schiff enttauchen

Seh’ ich durch Sonn’ und Regen, seine Reise

 

Langsam vollendend heim im Stundenkreise

Bis Beide am Ziel’,  Im Thurm’ mit müden Augen

Der Wächter schlägt die Stunde, lieblich hauchen

Die Lüfte sanft die melanchol’sche Weise.

 

O, Mitternacht!   Vorposten vom Tagesscheine,

Grenzstadt der Nacht, und ihre Citadelle,

Der Zeiten Wasserscheide, d’raus entschäumen

 

Das Gestern und das Heute uns; das Eine

Zum Land’ der Hoffnung, zu des Lichtes Helle,

Das and’re zu dem dunklen Land’ von Träumen.

 

 

II.

 

Du Strom von Gestern, hin durch Schluchten fallend

Im schnellen lauf’, den Blicken bald entschwunden,

Ich will nicht folgen Deinen flücht’gen Stunden

Den welken Blättern, Dir am Busen wallend.

 

Du Strom von Morgen, mit Dir, fröhlich hallend,

Zieh’ ich dahin, gleich wie die Nacht verschwunden

Im Morgen ist; in seinen Strahlenstunden

Die Schatten flieh’n im wechselnden Verfallen!

 

Ich folge Dir zu Deiner wasser Gründen

Durch unbekannte, stille Wunderauen

Voll Blumenduft, von Liederlust umfangen.

 

Ich folge Dir; die Sonne werd’ ich finden;

Das Wahre wird die Zukunft mir vertrauen,

Wenn ich nicht selbst im Irrthum’ bin befangen.

 

 

 

III.

 

O, Strom von Gestern, durch die dunkel’n Klüfte

Zur Tiefe stürzend, ich vernahm im Regen

Dein Seufzen, Deine Stimme sich bewegen

Mit ander’n Stimmen durch das Reich der Lüfte;

 

Ich rief Dich, doch Du stürzest durch die Grüfte

Voll Selbstzufriedenheit dem Tod’ entgegen,

Wie Wasser die hin über Kiesel fegen;

Du wolltest athmen nicht der Lieder Düfte.

 

Gedanken, gleichend schnellem Flügelrauschen,

Schmerz beim Erinner’n an vergang’ne Zeiten,

Prophet’sche Winke von der Zukunft Leben,

 

Ahnung und Hoffnung Dinge zu erlauschen,

Uns bleibend, waren Engel uns zu leiten,

Dir dank’ ich sie, Du hast sie mir gegeben.

 

 

IV.

 

Und Du o, Strom von Morgen, niedersteigend

Durch Deine engen, ries’gen Demanthallen,

Doch herrlich mit den weißen Wasserfallen

Und Nebeln, Händen gleich den Pfad uns zeigend;

 

Des Morgen’s Weh’n hör’ ich, Trommeten gleichend,

Die mächt’ge Stimme hör’ ich immer hallen,

Und seh’ wie Ossian in Morven’s Hallen

Phantome nah’n, mir winkend, dann entweichend!

 

Geheimnißvolles, das uns Unbekannte

Bezaubert uns; noch Kinder sind wir immer

Voll laun’scher Wünsche; ängstlich wir umschlingen

 

Mit einer Hand das Liebe, uns Bekannte,

Entschlossen tastend mit der ander’n immer

In’s Dunkel Dessen was der Tag wird bringen.

 

 

 

Boston

 

St. Botolph’s Stadt!   Durch Moore und flache Lande

Von Lincolnshire ein Sachsen-Mönch hierher

Einst kam, ein Kloster hat gegründet er,

Es ward zerstört von Dänischer Räuberbande

 

So daß kein Mensch mehr seine Spur erkannte;

Sein Name, nur genannt im Land’ umher,

In ander’n Hemisphären hallend hehr,

Hat überlebt den Schmuck den man verbrannte.

 

St. Botolph’s Stadt!   Dein schöner Thurm noch blicket

Viel Meilen über Land und Meereswallen,

Weit hört man rings noch seiner Glocken Läuten;

 

Dein heil’ger Name sei genannt entzücket,

Ein Markstein, ein Symbol: wie mächtig hallen,

Wie viel ein einz’ges Wort uns kann bedeuten.

 

 

 

St. John’s Kapelle, Cambridge

 

Steh’ unter’m Baum’ deß Zweige lieb beschatten

Dein westlich Fenster Dir, St. John’s Kapelle!

Die Blätter rauschen ihres Segen’s Quelle

Dem, dessen Hände Dich errichtet hatten.

 

Ich denk’ an Einen, von dem im Todesschatten

Man sprach: „sieh Deinen Sohn!“   An dieser Stelle

Seh’ ich ihn wandern noch in Strahlenhelle

Erharrend Den, den sie erwartet hatten.

 

Nicht der Apostel Zungen nur uns künden

Des Licht’s, der Liebe Lehren, diese Zweige,

Bedeckend Dich, mit allen Blättern flehen

 

Und klar wie Menschenworte uns verkünden:

„Zu Euch sich immer segnend niederneige

Der Frieden Gottes, den wir nicht verstehen.“

 

 

 

 

Launen

 

O, daß ein Lied von selber mir erklänge

Vom Herzen der Natur, vom Menschenherzen

Das die Natur, nicht Kunst, gebar mit Schmerzen.

Wie’s Meer so salzig, frisch wie Morgensänge;

 

Erfüllt mit so viel bitter’n Krautes Menge,

Arz’nei um solche Trägheit auszumerzen,

Die wallen macht das Blut in meinem Herzen

Daß sie die dumpfe Lethargie bezwänge!

 

O Gott! der Lieder Hauch haucht nicht für immer

Uns an.   Dem Wind’ er gleicht; nach seinem Willen

Er braust, nach unser’m nicht; nicht zaudert lange;

 

Wir hören seinen Ton, doch wissen nimmer

Woher er kommt, blitzschnell die Luft zu füllen,

Noch auch wohin sein laun’scher Lauf gelange.

 

 

 

Woodstock Park

 

In dieser ländlichen Klause in Vorzeittagen

Alfred, der große Sachsenkönig, scheuchte

Die Herrschersorgen fort, den Ruhm erreichte

Des Römers Tröstungen zu übertragen:

 

Hier Geoffrey Chauçer mit dem Haupt’ dem grauen

Die wundervolle Mährchenwelt erzeugte

Die keines Nebenbuhlers Geist erreichte,

Die er stets unvollendet mußte schauen.

 

Zwei kön’ge waren’s die nach Götterrechten

Regierten; einer in dem Reich der Wahrheit,

Der and’re im Romanzenreich’, den hehren.

 

Welch’ Sprosse, ausgerüstet mit den Mächten

Der Jugendkraft und hoher Geistesklarheit,

Wird erben ihren Ruhm und ihn vermehren?

 

 

 

Die drei Prinzessinnen zu Wilna

(Eine Photographie)

 

Wie hold seh’ Euer Antlitz ich sich neigen

Als wolltet Ihr vom Schlossesfenster sehen

Schier einen Aufzug durch die Stadt hin gehen,

Die Schönsten selbst im ganzen Bild’, dem reichen;

 

Ernst, und mit sanfter Anmuth ohne Gleichen

Dreifache Kronen Euer Haupt umwehen,

Schönheit und Jugend, was befleckt nie sehen

Ihr solltet, eines großen Namens Zeichen!

 

Aus Eu’ren sanften, schuldlos-lieben Blicken

Drei Geister schuldlos mit des Himmel’s Weihe

Zur erde schau’n, zum Himmel voller Liebe.

 

Horch, auf der Straße singt man voll Entzücken:

Glaube und Hoffnung, Liebe, diese Dreie,

Und von den Drei’n das größte ist – die Liebe.

 

 

 

Feiertage

 

Das sind die heiligsten der Feiertage

Die wir mit uns stumm und allein verleben;

Wenn überströmend die Gefühle beben

Geheimnißvoll vom Herzensjahrestage.

 

Rein bringen sie uns wolkenlose Tage,

Auflodernd aus dem Dunkel; Wonne bebend

Wie aus der Arche Glut; gleich Schwalben schwebend

Die Wünsche, übertönend Sturmesklage!

 

Weiß wie der Glanz vom Segel am Himmelsrande,

Weiß wie die Wolke, schwingend in Aetherräumen,

Weiß wie die weiße Lilie auf dem Weiher

 

Ist solch Erinnern; Mähr vom Wunderlande

Und wie ein Landschaftsbild von dem wir träumen,

Uns unbekannt, doch schön im Mährchenschleier.

 

 

 

Turnier

(An Alfred Tennyson)

 

Laß Deine Lanze, Dichter! von der meinen

Berühren nicht wie im Turniergefilde

Damit berühren Ritter Gegnerschilde

Als Ford’rungszeichen; laß sie Dir erscheinen,

 

Als Zeichen der Bewunderung, der reinen

Von Deiner Meisterschaft erhab’nem Bilde;

Verbergen will ich nicht, was mich erfüllte,

Mein Lob von Deinem Sang’ dem göttlichreinen.

 

Du süßer Herzenssänger gleichst ja nimmer

Dem Derwisch der wahnsinnig seine Sänge

Hinausheult bis der Geist im Wahn’ verloren,

 

Nein Dir gebührt des Lorbeerkranzes Schimmer,

Dir rauschen uns’rer treuen Liebe Klänge

Weil Du der Dichtkunst Treue zugeschworen.

 

 

 

Meine Kathedrale

 

Diese mächt’gen Fichten wie zwei Thürme ragen,

Voll Tannenzapfen ihre Wipfel prangen

Nicht Steine bilden Ihrer Bogen Wangen,

Nicht Kunst, Natur ließ Ihre Linien tagen.

 

Weinarabesken hat sie eingeschlagen;

Die Märtyrer Grabmäler nicht umfangen,

Kein Marmorbischof darf auf Hügeln prangen,

Windhauche nur, nicht Orgeltöne klagen:

 

Tritt ein!   Ein Blätterteppich Dir zu Füßen

Wie sanftes Echo läßt die Tritte hallen;

Horch! wie der Chor singt; Vöglein durch die Pforte

 

Des Laubgang’s singen! lausch’ o, lausch’ dem süßen

Gesang’ eh’ er entschwebt, lern’ niederfallen

Zum heil’gen Gottesdienste ohne Worte.

 

 

 

Das Begräbniß des Dichters

(Richard Henry Dana)

 

In seiner Vaterstadt allte Kirchhofsräume

In seiner Ahnengruft geweihte Hallen

Wir legten ihn zum Schlaf’, gewiß uns Allen,

Daß er von Ruhm’ in stiller Ruhe träume.

 

Schnee fiel als ob der Himmel auf alle Räume

Ließ weiße Paradiesesblumen fallen; -

Erwacht die Todten schienen herzuwallen

Ihn rufend, werth der weißen Kronensäume.

 

Jetzt Mondesstrahlen auf den Kirchhof fielen,

Die breite Fläche Schnee ist nun beschrieben,

Mit Kreuzesschatten der entlaubten Bäume,

 

Wie einst das Bahrtuch Saladins mit vielen

Korankapiteln; ach! was hier geschrieben

Sind schönere, geheimnißvoll’re Träume.

 

 

 

Die Nacht

 

Die Nacht, ihr Dunkel, ihre Stille ziehen

Langsam hernieder, wiederum entschweben,

Mit ihr des Tag’s Phantome auch entbeben,

Der Wesen Geister, die nach Lichte glühen.

 

Das Volk, das Schrei’n Verfolgung, und Entfliehen,

Nutzloser Glanz und Prunk, das eit’le Streben

Der Sorgen, die so schwer das Herz durchbeben,

Vor uns’ren Augen alle da entfliehen.

 

Das bess’re Sein beginnt; uns nicht mehr quälte

Die Menschheit; die Erinn’rung wir vernichten

Im düster’n Sammelbuche uns’res Lebens,

 

Das wie ein Palimpsest uns vorerzählte

Was Zeit und Ort Gewöhnliches berichten; -

Auflebt das Ideal des heil’gen Strebens.

 

 

 

Die Abendglocken

(28. August 1879)

 

Ihr lieben Glocken! die Ihr in nächt’ger Stille

Verrauschte Stunden grüßt, die Ihr uns immer

In unser’s Hauses dunk’lem, stillen Zimmer

Anzeigt den Kreislauf ew’ger Weltenfülle!

 

Durch die geschloss’nen Augen schaut mein Wille

Im Aetherraume gold’nes Sterngeflimmer

In mächt’gen Kreisen, wogend, wallend immer;

Horch! wie sie singen fliehend durch die Stille!

 

Ach, besser ist als Schlaf so wachend liegen

Hoch überwölbt vom Sternendom’ der Himmel

So unermeßlich groß und weit; zu fühlen

 

Die schlummernde Welt versinken, kaum sich wiegen

Im Strudel, - nur ein Rauschen von Schaumgewimmel

Des Meer’s unter versinkenden Schiffeskielen.

 

 

 

Sieger und Besiegter

 

Wie Einer der lang keuchend ist gefloh’n

Vor seinem Feind’, blutend, zum Fall’ gewandt,

Dreh’ ich mich um, den Rücken an der Wand,

Schau’ ich Dir, Tod, in’s Antlitz voller Hohn.

 

Um Hülfe ruf’ ich, keiner Antwort Ton;

Allein mit Dir, dem Niemand widerstand;

Mich Deine drohende Gestalt nicht bannt,

Phantom bist Du, ein Geistbild, schwindend schon.

 

Verwundet, schwach, mit dem zerbroch’nen Schwert’,

Mit der zerschlag’nen Rüstung, ohne Schild

Steh’ ruhig ich; mach’ was Du willst mit mir;

 

Ich will nicht weichen, ob auch unbewehrt;

Wo Memmen kämpfen giebt’s kein Turniergefild;

Und der Besiegte wird zum Sieger hier.

 

 

 

Erinnerungen

(23. September 1881)

 

Oft denk’ ich Derer, die ich einst gekannt,

Zu Denen mich hinzog wie zum Magnet’

Mein Herz; sie sind nicht todt und vor mir steht,

In den Gedanken immer festgebrannt,

 

Ihr liebes Bild, anschaut mich’s unverwandt

Wie grüne Gräber, deren Stein umzog

Das Moos, um den ihr Haupt die Flechte bog,

Wo nur der Name unverwittert stand.

 

Ist’s so? Erinnern sie nach langer Zeit

Sich so an mich, so lieb wie ich an sie?

Darnach zu fragen fürchtet sich mein Wort.

 

Doch weshalb bin ich denn voll Bangigkeit?

Lust, wie die Blume, welkt und dauert nie,

Doch ihre Wurzeln sprossen immerfort.

 

 

 

Meine Bücher

(27. Dezember 1881)

 

Betrübt, gleich wie ein alter Rittersmann

Die Waffen sieht die er nicht mehr kann tragen,

Das blanke Schild, sein Schwert, das gut geschlagen,

Nun aufgehängt in seiner Halle Bann,

 

Weil er die Sehnsucht nicht bezwingen kann

Nach dem Turnier’, nach kühnem Schlachtenwagen,

Weil Thräne stets auf Thräne fällt voll Zagen

Zum weißen Bart’, ihn feuchtet immer an,

 

So schau’ ich an die Bücher im Regale

Einst meine Waffe, meines Lebens Zier,

Nicht ganz unbrauchbar, doch gebraucht nicht mehr;

 

Sie meines ander’n Selbst’s Erinnerungsmale

Als jung und stark ich durch der Lust Revier

Hinschritt, das jetzt verwirrt, bewölkt umher.

 

 

 

 

Möglichkeiten

(17. Januar 1882)

 

Wo sind die Dichter, deren Zauberkraft

Aus dem Olymp stammt, deren Liederpfeile

In’s tiefste Mark eindringen voler Eile

Von dem mit aller Macht gebog’nen Schaft’

 

Wo sind die Sängerschiffe voller Kraft,

Mit ihren Kielen rauschend sonder Weile

Helltönend zu dem neuen Weltentheile,

Mit vollen Segeln von dem Wind’ entrafft?

 

Vielleicht ein Knabe träumt, in seiner Schule

Vergessen, läuft durch Feld und Straßen fort,

Einst Meister seiner Kunst, ein Riesengeist,

 

Ein Admiral, der auf dem hohen Meere

Des Denkens segelt kühn zum fernen Port’

Von Ländern die noch keine Karte weist.

 

 

 

Michelangelo

(Widmung)

 

Nichts giebt es das auf Erden ganz verloren,

Es geht nur unter um neu aufzuleben

In and’rer Form, wie Wolken Regen weben

Vom Hauch’ den Land- und Meeresduft geboren.

 

Aus zeitzerstörten Grüften und Emporen

Der Mensch Gebäude schafft; der Lust Erbeben

Die Qual der Herzen die längst nicht mehr leben

In Herzen klopft die sind, die einst geboren.

 

So aus der Vorzeit Chronik, wo die Namen

Still schlummern die die Welt mit Ruhm einst füllten,

Schöpf’ ich dieß Lied mir; sangesblumensamen

 

Laß’ wurzeln ich in Spalten loser Steiner

Um, wie’s mich drängt, mir Verse d’raus zu bilden;

Begeist’rung zeugen heilige Gebeine.